Es brodelt …

KBV-VV auf Kollisionskurs mit der Gematik, ungültige eGKs wegen Chipmangel, Zwangsrollout des eRezeptes zum 1.9.22 – oder doch nicht, Austausch von 10.000en Konnektoren ab Sommer, Andreas Meissner bei der Gulaschprogrammiernacht 20 des CCC, drohende Opt-Out-Regelung für die ePA: Es brodelt im Digitalisierungs-Topf, aber der eHealth-Hype wird nicht richtig gar, aber es kocht auch noch nicht richtig über. Vielleicht sind bei diesem Brei auch einfach zuviele Köche beteiligt.

Die Eilmeldung des ÄND: Heftige Ohrfeige für die Gematik: Der Vorstandschef der KBV, Dr. Andreas Gassen, hat am Montag auf der Vertreterversammlung in Bremen massive Kritik an der Betreibergesellschaft der Telematikinfrastruktur geäußert – und mit einem Ende der Zusammenarbeit gedroht. (https://www.aend.de/article/218212)

Und auch die Ärztzeitung berichtet: KBV-Vertreter knöpfen sich gematik vor.

Leider waren es erst einmal nur Drohungen und Forderungen – auch an Herrn Lauterbach, der theoretisch über 51% der Gematik regiert, während die KBV gerade über 7% Stimmanteil verfügt. Was mir fehlt: Eine Aussage der KBV, dass sie die Honorarstrafen der Verweigerer nicht mehr einkassiert oder zumindest auf ein Treuhänderkonto legt, damit es nach entsprechenden Gerichtsurteilen zu einer schnellen Rückzahlung unserer Honorare kommen kann. Aber immerhin schon ein deutlicher „Protest“.

 

Etwas verwundert hat mich die neueste Folge der Pleiten-Pech-und-Pannen-Serie der eHealth-Bemühungen: Es war ja einmal gesagt worden, dass die eGK große Einsparungen erbringe, weil nicht bei jeder Änderung der Versichertendaten eine neue Karte ausgestellt werden müsse. Der Online-Abgleich mit dem KK-Server reicht und schon ist die Karte auf dem neuesten Stand.

„Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat rechtverbindlich festgelegt, dass die digitalen Zertifikate nur für fünf Jahre gültig sein dürfen. Danach werden die Karten automatisch ungültig“

Jetzt zeigt sich, dass die Karten auch ohne jede Veränderung der Versichertendaten alle 5 Jahre ausgetauscht werden müssen, da die Zertifikate auf den Chips auslaufen. Und das kam jetzt auch nur in die Presse, weil gerade neue Chips Mangelware sind und die KK ungültige Karten nicht rechtzeitig ersetzen können.
Fazit: 1. Wieder ein Argument für die Digitalisierung – Einsparungen durch weniger neue Karten – war gelogen. 2. Das eHealth-System ist hochgradig störanfällig und so für eine wichtige/kritische Infrastruktur einfach Mist. 3. Zur Not können die KK eine Versicherungsbescheingung in Papierform schicken – oder Faxen, solabge es noch genügend Faxgeräte gibt.

 

Das elektronische Rezept (E-Rezept) soll noch in diesem Jahr flächendeckendend an den Start gehen. Mittlerweile seien zahlreiche Untersuchungen im Rahmen der Testphase des Angebots vorgenommen und weitere 10.000 E-Rezepte ausgewertet worden, sodass der Rollout bis Ende dieses Jahres erfolgen könne, kündigte Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach am Mittwoch vor Journalisten in Berlin an.

„Kennen Sie eine Arztpraxis, die schon E-Rezepte ausstellt?“ „Ja, alle beide.“

Von November 2021 bis jetzt sind etwa 20.000 eRezepte auf den Weg gebracht worden. Beteiligt waren 224 Praxen, wobei der Löwenanteil sich auf 2 Praxen konzentrierte. Das Ziel sei ein „Flächentest“ mit der erfolgreichen Bewältigung von 30.000 eRezepten, um damit sichere Marktreife zu gewährleisten. (Gegenüber den etwa 550 Millionen Verordnungen und Rezepten, die z. Zt. analog ausgestellt werden.)
Nun hatte die Gematik angekündigt, das eRezept ab 1. September verbindlich in Schlewig-Holstein und Bayern einzuführen, was zu einem „Sturm der Empörung“ geführt habe. Auch wenn die Gematik das noch nicht als Entscheidung verstanden wissen will – das soll erst Ende Mai geschehen -, fühlen sich gerade die KVen auf den Schlips getreten, da sie diese Pläne über den Branchendienst „Apotheke Adhoc“ erfahren mussten. Letztendlich kann aber weder hier noch sonstwo eine Entscheidung (Gesetz, Resolution, Verfügung …) die Macht des Faktischen ändern: PVS-Hersteller Medatix spricht noch von einem erheblichen technischen Aufwand in den einzelnen Praxen, bevor das eRezept laufen kann. Und IT-Experten sind – wie Chips – Mangelware: „Wir sind noch lange nicht beim E-Rezept in der Praxis.

 

Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: Auch die Konnektoren müssen alle 5 Jahre ausgetauscht werden – der Sicherheit zuliebe. Die Idee, diese Sicherheit auszulagern und an private Firmen zu übertragen, die die digitale Identität von Praxen und Patienten (wie auch immer) gewährleisten sollen, so dass in der eigentlichen TI Hardware-Komponenten wie Konnektoren und Sicherheitschips auf Karten nicht mehr nötig sind, nennt sich TI2.0. Diese TI2.0 ist aber von einer Realisierung noch weit weg, so dass die ersten Konnektoren – anders als von der Gematik erträumt – bereits dieses Jahr ihr Verfallsdatum erreicht haben und ersetzt werden müssen. Wenn alles gut läuft stehen für den ersten Schwung Kosten von 147 Millionen Euro an. Wenn nicht wird’s eng. Das Problem: Keiner weiss, ob die Hersteller die Geräte haben, ob genügend Techniker diese Arbeiten machen können, ob diese ganze Umstellung der unterschiedlichen Geräte-Generationen funktioniert und ob die Arztpraxen (neben der Umstellung auf das eRezept und die nächste heranrollende Coronawelle im Herbst) das noch aushalten.

 

Unser geschätzter Kollege und Mitstreiter Andreas Meissner hat jetzt auch beim CCC-Kongress einen Vortrag gehalten: „Daten helfen heilen? Warum die elektronische Patientenakte nicht gesünder macht“  Eine schöne Zusammenfassung darüber, was uns allen so blüht und warum die ePA natürlich nicht heilen hilft.

Kleine Anmerkung zu den Nachfragen bzgl. Abrechnungsdaten: Auch wenn es stimmt, dass Abrechnungsdaten verschlüsselt werden, gilt das nur für den Transport zur KV. Danach sind sämtliche personenbezogenen Daten mit abgerechneten Leistungen und abrechnungsbegründenden Dignosen im Klartext vorhanden und können bei den Krankenkassen auch mit den abgerechneten Verordnungen zusammengeführt werden. Und nach dem DVG (Digitale-Versorgungs-Gesetz) ist das relevant weil:

Das Gesetz schreibt vor, dass die Kassen die pseudonymisierten Daten ihrer Versicherten bis Oktober 2022 in eine Datenbank eingeben, damit die Forschung sie verwenden kann. Widersprechen können die Versicherten dabei nicht.

Hier gegen wurde schon Verfassungsbeschwerde eingelegt und  wird gerade geklagt, da wir so auch ohne ePA schon alle sehr, sehr gläsern werden.

 

Gegenwärtig ist die ePA ein Flop: 0,6 % der Patienten haben sie, 99,4% scheinen nicht so begeistert. Und jetzt kommt die Arroganz der Politik ins Spiel: Während einerseits stets betont wurde, dass diese ganzen Milliarden von Versichertengeldern dem Wohl und den Interessen der Bürger dienen sollen, besteht die Ampel-Koalition darauf, dass zur Not die ePA-Freiwilligkeit von OPT-IN auf OPT-OUT wechseln soll. Das war schon im Entwurf zur Impfpflicht versteckt, die dann gescheitert ist, das steht aber noch immer im Koalitionsvertrag und wird auch von Lauterbach wieder ins Spiel gebracht. Welche Probleme das rechtlich und technisch beinhaltet erörtert kurz und knapp der IT-Sicherheitsfachmann Mike Kuketz. Lesenswert – auch noch einmal mit dem Hinweis: personenbezogene medizinische Daten gehören nicht aufs Handy. – Nie!

Viele Grüße!

Lothar Seite

 

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Claudia Schauenberg

    Hallo, lieber Lothar!
    Wieder mal perfekt auf den Punkt gebracht von Dir, danke!!
    Die TI ist so ein Armutszeugnis für die politisch Verantwortlichen, dass es wirklich betrüben kann.
    Wie ernst das aktuelle Getöse von denjenigen zu nehmen ist, die bislang brav allen Unsinn mitgemacht und mitgetragen haben, und die uns immer noch unsere Honorare stehlen wegen Einhaltung des Hippokratischen Eides, wird man sehen. Wenigstens rappelt es jetzt etwas im Karton. Allein heute Morgen gleich drei Rappel-Artikel im änd zum Thema. Und wenn das alles auch nur dazu dient, uns dazu zu ermutigen, weiter durchzuhalten, dann hätten die Kriedels dieser Welt ja endlich mal was Sinniges gemacht – wenn auch ganz unbeabsichtigt 😉
    Nochmals danke für dieses tolle Engagement und lasse sich bitte niemand irre machen!
    HG, Claudia Schauenberg

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