Das Bündnis für Datenschutz und Schweigepflicht (BfDS) vertreten durch den geschätzten Kollegen Andreas Meißner hatte am 2. September 2019 eine Petition an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages gerichtet:
Keine zentrale Datenspeicherung sämtlicher Patientendaten; Anschluss von Arzt- und Psychotherapiepraxen an die Telematik-Infrastruktur auf freiwilliger Basis.
Nach erfolgreicher Unterstützung durch mehr als 60.000 Unterschriften/Mitzeichner erfolgte am 16. Juni 2020 die öffentliche Anhörung. Jetzt hat der Ausschuss das Petitionsverfahren abgeschlossen (ÄND) wie das BfDS in seinem Sondernewsletter mitteilt. In der Stellungnahme hierzu äußern sich die „Volksvertreter“ des Ausschusses (BT-Drucksache 19/30452) nach einem Jahr Prüfungszeit so lapidar und oberflächlich, dass mir eigentlich nur noch das Fremdschämen bleibt: Peinlich!
Ohne auf die Risiken zentraler Datenhaltung in irgendeiner Form einzugehen, wird zunächst nur die Werbebotschaft von GEMATIK und BMG wiedergegeben, dass die TI eine „flächendeckend verfügbare, technologische Basis für den sicheren Austausch medizinischer Informationen“ darstelle. „Wesentliche Kernanwendung … ist die elektronische Patientenakte. Mit ihr soll für Versicherte die Möglichkeit geschaffen werden, umfassende medizinische Informationen … einrichtungsübergreifend zur Unterstützung ihrer persönlichen medizinischen Behandlung bereitzustellen.„
Hiernach wird es zunächst schludrig: „Für die Nutzung von elektronischen Patientenakten … gilt, ebenso wie für die Nutzung aller(*) medizinischer Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte, von Anfang an das Prinzip der Freiwilligkeit.“
Was sind denn bitte die Anwendungen der elektronischen Gesundheitskarte? Die Karte stellt nur den Zugang zur TI für den Patienten dar und soll mit der angekündigten TI 2.0 auch dafür ihre Bedeutung verlieren. Und freiwillig ist nur die ePA und das NFDM (=Notfalldatenmanagement), alles andere, wie z.B. eAU oder eRezept, sind Pflicht! Das Ende der „Freiwilligkeit von Anfang an“ forderte zudem bereits der im Bundesgesundheitsministerium angesiedelte „Sachverständigenrat Gesundheit“ in seinem letzten Gutachten sowie die CSU in ihrem aktuellen Wahlprogramm. Auch an anderen Stellen wird postuliert, dass die Weigerung der Patienten, der ePA ihr Vertrauen zu schenken, mittelfristig negative Folgen für die Behandlung habe.
Nun wird in der Stellungnahme des Petitionsausschusses einerseits definiert, dass die ePA eine „versichertengeführte elektronische Akte“ sei, auf welche die Versicherten „auf eigenen Wunsch“ auch(?) mit „ihrem Smartphone oder Tablet“ zugreifen könnten. Ab dem 1.1.2022 sollen Versicherte, die die ePA nicht über ein Handy oder Tablet „verwalten wollen oder können„, einem „Vertreter die Befugnis erteilen“ können, dies an ihrer Stelle zu tun, so dass alle „ohne Abstriche die Vorteile … nutzen können.“ Hier wird es rechtlich haarig, da so nicht mehr von einer „versichertengeführten Akte“ gesprochen werden kann. Ein erheblicher Anteil der Bevölkerung wird die Akte nicht selbst führen können. Ob es realistisch ist, dass eine deutliche Mehrheit aller gesetzlich Versicherten Befunde, Berichte, Diagnosen, eingescannte MRT-Bilder etc. über Jahrzehnte auf ihrem Handy sinnvoll verwalten können, muss bezweifelt werden.
Wenn die Akte aber eben nicht „versichertengeführt“ ist, stellt die Übertragung der Daten in die ePA durch Ärzte und Krankenhäuser einen Bruch der Schweigepflicht dar, da die Daten in den Verfügungsbereich nicht des Patienten sondern Dritter überstellt werden. Die Oberflächlichkeit, mit der der Petitionsausschuss hier über die technische Problematik und ihre rechtlichen Folgen hinweg geht, ist bereits vom Bundesdatenschutzbeauftragten Prof. Kelber moniert worden und könnte das Projekt ePA zum Kippen bringen.
Eine seltsame Ehrlichkeit zeigt der Petitionsausschuss dann bei der Frage der Aussetzung der Sanktionen für Praxen, die sich nicht an der Telematik-Infrastruktur anschliessen lassen wollen: „Die Gewährung von sanktionsbefreiten Ausnahmen könnte zudem eine Ungleichbehandlung jener Leistungserbringer zur Folge haben, die sich nur unter dem Druck der Sanktionsandrohung rechtzeitig um einen Anschluss … bemüht haben.“ Lassen Sie sich das auf der Zunge zergehen: Das Projekt, das den großen Wurf in der medizinischen Versorgung darstellen soll, konnte den Praxen bisher nur unter Druck aufgezwungen werden – da wäre es jetzt ungerecht, wenn der verbleibende Rest nicht mehr unter Druck gesetzt würde.
„Zudem besteht die Gefahr, dass der weitere Aufbau der Telematikinfrastruktur stagniert.“ Immerhin: Offizieller Starttermin sollte der 1.1.2006 sein. So ein bisschen stagniert das alles eh schon.
Das Petitionsverfahren ist abgeleitet aus dem verfassungsrechtlich verbrieften Grundrecht, sich als Bürger auch direkt mit Bitten und Beschwerden an den Bundestag wenden zu können. Es entsteht nicht der Eindruck, dass die Abgeordneten dieses Petitionsverfahrens sich in irgendeiner Weise um echte Sachkenntnis und stringente Argumentation bemüht haben. Welches Signal senden die Volksvertreter mit dieser Stellungnahnahme an die Petenten und an uns Bürger?
Noch recht freundlich stellt dann hier der Petent, Dr. Andreas Meißner, fest: Thema verfehlt!
Nicht nur das.
LG
L. Seite
(* Hervorhebungen von mir)
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